Der Kongress „Meditation & Wissenschaft 2016“ mit mehr als 500 TeilnehmerInnen beleuchtet das aktuelle Thema Meditation.
Beim Kongress „Meditation & Wissenschaft 2016“ im November in Berlin, gingen renommierte Experten aus Neurowissenschaft, Medizin, Psychologie, Philosophie und Arbeitswelt mit Beispielen aus Forschung, Therapie und Alltagspraxis der Frage nach, wie sich das Verständnis der Wirklichkeit unseres Lebens und unsere Fähigkeit, es zu gestalten, im Spiegel der Achtsamkeit, verändert. Andrea Ristl war dabei:
Tobias Esch, Professor für Integrierte Gesundheitsversorgung an der Universität Witten/Herdecke, spannt in seiner Begrüßung den Bogen von dem achtsameren Umgang mit Achtsamkeit zu wissenschaftlichen Grundlagen. Achtsamkeit meint, zur „Besinnung“ zu kommen, ungeteilt aufmerksam, wie ein Kind, das im Spiel versunken (aber doch hellwach) ist. Mit einer Attitüde der Akzeptanz. Schon William James sah in diesem Zustand – der Kombination von intentional gerichteter Konzentration und dem aktiven Beibehalten der Aufmerksamkeit – nicht weniger als die Manifestation des „freien Willens“.
Achtsamkeit verändert die Hardware (z.B. das Gehirn), mit der Zeit. Hier wird Erlebtes zu Erlerntem, Erlerntes stabilisiert, der Arbeitsspeicher von „Ballast befreit“, Aufmerksamkeit reguliert. So kann sie ein Mittel zur Stressreduktion werden – „Effizienzgewinne“ inklusive. Doch will ‚ich‘ das? Was ist mit der Einbettung in eine Ethik, was mit der Freiheit, auch gestresst sein zu dürfen? Über die philosophischen, politischen und sozialwissenschaftlichen Aspekte einer Praxis, die darauf ausgerichtet ist, zu akzeptieren statt zu kämpfen (oder zu fliehen), wurde vorgetragen und diskutiert. Geht es um einen Rückzug ins Private? Wer „profitiert“ von Meditation und Achtsamkeit, dem Handeln oder Nichthandeln?
Ein Höhepunkt der Veranstaltung war die Meditation und Diskussion mit Jon Kabat-Zinn. Er ist emeritierter Professor an der University of Massachusetts Medical School in Worcester und unterrichtet Achtsamkeitsmeditation, um Menschen zu helfen, besser mit Stress, Angst und Krankheiten umgehen zu können.
Während seines Berufslebens hat er sich stark dafür engagiert, die Achtsamkeitspraxis in Medizin und Gesellschaft bekannt zu machen und zu etablieren. Kabat-Zinn hat Beiträge zu einem modernen Gesundheitswesen geleistet und sich dabei sowohl in seiner Forschung wie in der Lehre auf die Zusammenhänge von körperlichen Vorgängen und geistigen Aktivitäten konzentriert.
Prof. (apl.) Dr. Christine Kühner, forscht seit Jahren über die Schattenseite des menschlichen Denkens – Rumination (Grübeln): Gelegentlich sind unsere Gedanken nicht nur unproduktiv, sie können sogar unserem Wohlbefinden schaden und uns bei wichtigen Herausforderungen des Alltags im Wege stehen.
Mit unseren Gedanken verfahren wir gelegentlich wie Kühe mit ihrer Nahrung. Kühe verdauen mehrfach: Um auch die hartnäckige Zellulose zu zerlegen, würgen sie in Ruhephasen die Nahrung nochmals in die Mundhöhle, um darauf herumzukauen. „Rumination“, den biologischen Fachbegriff für das Wiederkäuen, haben klinische PsychologInnen als Fachbegriff für das menschliche Grübeln über Unglück, Pech oder Missgeschicke übernommen. Beim Ruminieren werden Situationen aus der Vergangenheit mehrfach wachgerufen, man brütet über Dinge, die schief gelaufen sind, und denkt lange über eigene Schwächen nach.
Ruminatives Grübeln gilt als bedeutsamer kognitiver Risikofaktor für die Entstehung und den Verlauf depressiver Störungen. Experimentelle Arbeiten zeigen, dass ein ruminativer Selbstfokus negative Verstimmung verlängert und dysfunktionale Kognitionen verstärkt, während ein achtsamer Selbstfokus gegenläufige Effekte hat.
Wie kann man dem GRÜBELN im Alltag entgegen wirken? Entcheiden Sie sich bewusst für positive Erlebnisse und Emotionen, denn diese reduzieren Stress und Anspannung. Sie machen uns kreativer und erhöhen unsere Kapazität fürs Lernen. Wir sind dann einfach leistungsfähiger. Es genügt schon, vor einer schwierigen Aufgabe an etwas Schönes zu denken oder sich nach einem schwierigen Gespräch mit einer freundlichen und von Herzen kommenden Kommentar zu verabschieden.
In erfolgreichen Teams gibt es mehr positive als negative Emotionen. Die Wissenschaftler Marcial Losada und Barbara Fredrickson errechneten sogar ein angeblich ideales Verhältnis aus Positivität und Negativität. Demnach brauchen MitarbeiterInnen für jede negative Erfahrung (z.B. Kritik, Misserfolge, nervige Kunden) drei positive Erfahrungen (z.B. Lob, Humor, Anerkennung) um gute Leistungen bringen zu können.
Ein weiterer Höhepunkt der Veranstaltung war die Vorstellung des ReSource Projekts, das von Prof. Dr. Tania Singer, Direktorin der Abteilung Soziale Neurowissenschaft am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig initiiert wurde.
Es ist eine weltweit einzigartige, groß angelegte Studie zum mentalen Training mithilfe westlicher und fernöstlicher Methoden der Geistesschulung. Über einen Zeitraum von elf Monaten wurden interessierte Laien an ein breites Spektrum von mentalen Übungen herangeführt, mit deren Hilfe Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Körper- und Selbstgewahrsein, eine gesunde Emotionsregulation, Selbstfürsorge, Empathie und Mitgefühl sowie Perspektivübernahme trainiert werden. Insgesamt zielte das Training darauf ab, mentale Gesundheit und soziale Kompetenzen zu verbessern, um z.B. Stress zu reduzieren, mehr geistige Klarheit zu erlangen, die Lebenszufriedenheit zu steigern sowie andere Menschen besser verstehen zu lernen. Es handelt sich um ein säkulares Programm, das mit einem Team von erfahrenen Meditationslehrern, Wissenschaftlern und Psychotherapeuten entwickelt wurde. Es wurde in Leipzig und Berlin durchgeführt und durchgängig von Wissenschaftlern des Max-Planck- Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften begleitet werden.
Was hat das ReSource-Projekt, was haben die Erkenntnisse daraus nun mit der Wirtschaft der Zukunft zu tun? Tania Singer ist überzeugt, dass Menschen in der Wirtschaft, die ein Training für Mitgefühl machen, in der Folge anders entscheiden und anders handeln werden. Entweder sie ändern daraufhin ihr Verhalten und womöglich die ganze Firma, oder sie verlassen die Firma. Wenn immer mehr Manager, CEOs und Vorstandsvorsitzende Mitgefühl lernen, wird das die Wirtschaft revolutionär verändern, in Richtung einer „Caring Economy„.
Unser Tipp für mehr Achtsamkeit im Alltag:
Integrieren Sie so oft als möglich achtsame Momente in Ihren Alltag. Oft genügt es eine Tätigkeit für 2 bis 3 Minuten achtsam zu verrichten – probieren Sie es aus. Wissenschafltiche Studien und Erfahrungen zeigen, dass es wirkt und Sie unterstützt.